Ich hatte die Freude, den Arzt und Journalisten Dr. med Bernhard Albrecht im Rahmen einer Recherche über Heilpraktiker für das Magazin Stern kennenzulernen.

Er hat ein Buch über Ärzte, die über Grenzen gehen, um ihren Patienten zu helfen, geschrieben.

 

Das Buch heißt “ Patient meines Lebens“. Ich finde die (wahren) Geschichten und die Menschen darin äusserst beeindruckend.

Das Vorwort fand ich seitens eines Arztes unglaublich und ich finde es sehr interessant, da es über den Gehorsam und die Anpassung handelt, die in der ärztlichen Ausbildung, den Hierarchien und auch schon in der Qualifikation für ein Medizinstudium gefragt sind.

Es zeigt, wie anfällig die Medizin und auch das Gesundheitssystem für Entmenschlichung ist.

Wie schwer es ist, in diesem Druck Mensch zu bleiben.

Mein Respekt gilt den Gott sei Dank doch beträchtlich vielen Ärzten, die sich das zu großen Teilen erhalten haben.

Ich finde, der Text macht einiges klar, wenn sich Patienten mehr Mitgefühl und Menschlichkeit in der Medizin wünschen.

 

„Ärzte sind es gewohnt zu gehorchen. Kaum ein Beruf wird so beherrscht von Vorschriften, die sich andere ausgedacht haben, und von Wissen, das entweder nicht oder nur punktuell mit sehr viel Aufwand hinterfragbar ist. Von Beginn des Medizinstudiums an werden künftige Ärzte darauf gepolt, dieses Wissen zunächst kritiklos aufzunehmen – anders wäre es kaum möglich, die große Menge an Stoff zu bewältigen. Ich habe diese Transformation selbst erlebt und an meinen Kommilitonen beobachtet. Ich erinnere mich an unsere Ehrfurcht vor den Professoren, an unsere Gespräche, in denen wir Fleiß, Intelligenz und Auffassungsgabe der anderen austesteten, an unseren Wettstreit darum, wer die dicksten Bücher gewälzt und die meisten Fachzeitschriften gelesen hat, wer trotzdem noch die Zeit fand, alle Vorlesungen und vielleicht gar noch Kongresse zu besuchen. Immer aber waren es andere, die uns erklärten, wie alles funktioniert. Wir haben nur wiedergekäut. Viele Ärzte bleiben nach dem Studium in diesem Denkmodus. Sie wenden an, was andere erforscht und zusammengetragen haben, vergleichbar den Nutzern von Computern, die ihr Gerät bedienen können, ohne sein inneres Wesen zu verstehen. An die Stelle der Professoren treten Chefärzte, von denen nicht wenige ihre Untergebenen behandeln wie 10dumme Schuljungen. An die Stelle der Lehrbücher treten Leitlinien, die es für nahezu jedes Krankheitsbild gibt und auf die sich führende Fachvertreter in endlos langen Sitzungen geeinigt haben – oft Kompromisslösungen, bei denen fundierte Meinungen unter den Tisch fallen, die nicht mehrheitsfähig sind. Daneben müssen Ärzte die immer komplexeren Vorgaben der Krankenkassen und des Gesetzgebers beachten und sich ökonomischen Zwängen fügen. Mitunter werden sie anfällig für geschickt gestreute Informationen von Pharmafirmen, vorgetragen von bezahlten Wissen-schaftlern, die sie zu überteuerten, wirkungslosen Therapien verführen. Doch unterm Strich leisten viele, das soll nicht unterschätzt werden, gute Medizin für einen Großteil ihrer Patienten. Denn das Denksystem der Schulmedizin, über Jahrtausende aus Puzzlesteinen der Erkenntnis zusammengetragen, funktioniert für viele Krankheiten, ohne dass der Arzt ihre Ursachen verstehen muss. Die etablierten Diagnose- und Therapieschemata ergeben meist Sinn. Dieses System aber lässt wenig Spielraum für die ärztliche Kunst – ein Begriff, der altmodisch anmutet, weil er so selten verwendet wird.“

Beginn des Vorwortes „Patient meines Lebens“ von Dr. med. Bernhard Albrecht , Droemerverlag

Bernd Michel